Im letzten Kriegsjahr 1944/45 stand hier an der Mauer des Klosters Indersdorf ein „Ostarbeiter-Kinderheim“. Auf einem Luftbild von 1945 ist diese berüchtigte Baracke zu sehen.

In der NS-Zeit war dies für mindestens 35 von 63 Kleinkindern polnischer und

ukrainischer Zwangsarbeiterinnen der „Wohnort vor dem Tode“.

Ihre Mütter und oft auch Väter arbeiteten auf Bauernhöfen der Umgebung. Sie waren aus den von deutschen Truppen besetzten Gebieten in der Sowjetunion und Polen nach Deutschland verschleppt worden. Als Zwangsarbeiter durften sie nicht heiraten und waren weitgehend rechtlos.
Falls sie im letzten Kriegsjahr ein Kind bekamen, so mussten sie das Neugeborene in einer solchen berüchtigten „Kinderbaracke“ abliefern, die es überall in Deutschland gab.

Ilian Jankowskis Eltern, polnische Zwangsarbeiter in Vierkirchen

Ilian Jankowskis Eltern, polnische Zwangsarbeiter in Vierkirchen

Janina Gajevskas Mutter, Zwangsarbeiterin im Wallberghaus
Ukrainische Zwangsarbeiterin (links) in Ebersbach
Ukrainische Zwangsarbeiterin Irene Pschika, Mutter des kleinen Wassili
Dokumente beweisen das kurze Leben dieser Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft: Z.B. Luise Wassilew: Ihre ukrainische Eltern arbeiteten als Zwangsarbeiter auf einem Bauernhof in Ebersbach. Als sie eine Tochter bekamen, wurden sie von den örtlichen Nationalsozialisten gezwungen, das gesunde Kleinkind in der Kinderbaracke abzuliefern, wo es nach nur 14 Tagen verstarb. Als Todesursache wurden Brechdurchfall und Herzschwäche angegeben.

Woran sind diese Kinder gestorben?

Dies ist ein Aufruf aus dem landwirtschaftlichen Wochenblatt von 1944. Aus Worten folgten Taten.
Aus rassistischen Gründen bekamen die Kleinen keine Säuglingsnahrung, wurden kaum versorgt und dem langsamen Sterben überlassen. In ihren Sterbeurkunden wird oft „angeborene Lebensschwäche“ genannt oder Brechdurchfall.

Als Irene Pschika sah, in welch schlechtem Zustand ihr kleiner Wassil war, überzeugte sie die Bauersfamilie vom Koanznhof in Untergeiersberg, ihn zurückzuholen. Dies war verboten und für alle Beteiligten ein großes Risiko. Doch sie schafften es nicht, den Jungen zu retten. Er wurde in Hilgertshausen beerdigt.
Die ukrainische Zwangsarbeiterin Irene Pschika (2. v. r.) auf dem Koanznhof in Untergeiersberg (Markt Indersdorf)
Erinnerungssäulen auf dem Bezirksfriedhof
32 Kleinkinder sind im „Ostarbeiter-Kinderheim Kloster Indersdorf“ nach kurzer Zeit qualvoll zugrunde gegangen und auf dem Bezirksfriedhof in Indersdorf bestattet. Drei weitere Säuglinge, Wassil Pschika, Rosina Gubrienko und Maria Cap konnten kurz vor ihrem Tod von ihren Müttern abgeholt werden. Doch auch für sie kam jede Hilfe zu spät.
Schüler der Mittelschule mit ihren selbstgestalteten Erinnerungssäulen
Heute erinnern Säulen auf dem Bezirksfriedhof an diese 35 jüngsten Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Ihre Namen wurden 2018 von Schülern der Mittelschule Indersdorf in diese „Erinnerungssäulen“ eingebrannt.

In solchen Kinderbaracken herrschten schreckliche Zustände:

Notburga Gmeiner (Jahrgang 1927) aus Pfaffenhoffen an der Ilm berichtet, dass die polnischen oder ukrainischen Mütter völlig verzweifelt waren, als sie ihre Kinder in der dortigen Baracke abgeben mussten:

Die Pritschen standen übereinander, es gab nur eine Hand voll Stroh und dünne Decken, so dass die oberen Kleinkinder die unteren nass machten. Es gab auch im Winter keine Heizung. Notburger Gmeiner hat drei Kinder im angrenzenden Ziegenstall gesehen, die völlig wund waren – feuerrote offene Wunden, bis auf die Knochen tief. Anfangs haben die Kinder kräftig geschrien, dann wurde das Wimmern immer leiser, bis es völlig verstummte.

In Uttenhofen (Gemeinde Pfaffenhofen a. d. Ilm) gab es im letzten Kriegsjahr auch eine „Kinderbaracke“. Die 16 dort verstorbenen Kleinkinder osteuropäischer Zwangsarbeiterinnen wurden neben dem Friedhof beerdigt. Notburga Gmeiner hat 60 Jahre lang ihre Gräber gepflegt.

In der Kriegszeit wurden die Kleinkinder in der „Kinderbaracke“ durch Cooperator Praunseys katholisch getauft und nach ihrem Tod auf dem Bezirksfriedhof beerdigt.

Der Indersdorfer Konrad Menter hat Kaplan Praunseys als Messdiener bei einigen dieser Beerdigungen auf dem Bezirksfriedhof begleitet:

„In der Früh erregte dies nicht so viel Aufmerksamkeit, als wenn wir untertags in voller Montur da rausmarschieren. Schon beim 2. Mal, als ich dabei war, sagte Cooperator Praunseys, es würde nicht so gern gesehen, wenn wir so ganz offiziell zu Beerdigungen gingen.“

 

„Da waren die Gräber oder am Anfang nur ein Grab, das schon ausgehoben war. Der kleine Kindersarg stand daneben. Bei späteren Beerdigungen waren es zweimal zwei oder auch mal drei kleine Kindersärge, in Weiß. Der ausgehobene Grabteil war so groß, dass mehrere Särge nebeneinander Platz hatten. Die Beerdigungen fanden nach katholischem Ritus statt, damals die Gebete in lateinischer Sprache, nur das „Vater unser“ und das „Gegrüßet seist Du Maria“ auf Deutsch.
Auffallend war: Es war immer eine ältere Frau dabei, in braun-grauer Uniform, mehr braun als grau, die sehr in sich gekehrt war. Man merkte nicht irgendeine Anteilnahme – oder vielleicht doch; das kann man von außen nicht sagen.
Bei späteren Beerdigungen waren auch die Mütter der verstorbenen Kinder dabei und eine jüngere Begleiterin von dieser Baracke. Die Mütter weinten bitterlich und man muss sagen, eine von diesen Jungen, die dabei waren, weinte dann mit.

Wir haben nicht gewusst, wer die Gräber ausgehoben hat und wer sie dann wieder zugeschüttet hat. Das war alles schon vorbereitet. Die kleinen Kindersärge, wer die nun gemacht hat, ein Schreiner aus der Gegend oder von woanders her, das weiß ich nicht. Man überlegte – ich war damals 10 Jahre alt – warum die Kinder starben. Es war ein gewisses Geheimnis um diese Baracke. Und wir gingen dann still wieder zurück zur Kirche, in Gedanken, warum diese Kinder wohl starben oder sterben mussten. Ich habe erst später erfahren, dass die Anzahl sehr groß war.“

„Weil sich niemand gekümmert hat, sind diese Gräber aufgehoben worden. Ich möchte sagen, es ist ein Drama: Unerwünschte Kinder zu beseitigen ist für mich nach wie vor unverständlich und ein Verbrechen.“

Ob die „ältere Frau in der braun-grauen Uniform“ Eleonore Graz war, die Leiterin der „Kinderbaracke“,  ist unbekannt.
Wer war verantwortlich für den Tod dieser Kleinkinder? Dies hat nie ein Gericht untersucht oder die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen.
Literatur: Hans Holzhaider, Die Kinderbaracke von Indersdorf, in: Dachauer Hefte 3, 1987.

Überlebende Kinder der „Kinderbaracke“ wurden im „International D.P. Children’s Center Kloster Indersdorf“ betreut, bis sie in die Heimatländer ihrer Mütter repatriiert werden konnten.

Die UN-Sozialarbeiterin Greta Fischer berichtete über die Arbeit mit diesen überlebenden Kindern.

Das gefilmte Interview mit Greta Fischer und weitere Informationen sind im UNRRA-Raum des Augustiner Chorherren Museums, Marienplatz 1 zu sehen.